Genug gepennt: Siebenschläfer sind endlich wach!

Siebenschläferbehausung. Foto: Hans-Martin Kochanek – NABU Leverkusen

Von Martina Vogt

Unter den Säugetieren halten sie unangefochten den Weltrekord in Bezug auf die Dauer ihres Winterschlafs: Siebenschläfer befinden sich nicht selten sechs bis neun Monate im Tiefschlaf und zwar in der Zeit von September/Oktober bis Mitte Mai/Anfang Juni. Sie schlafen also länger als ihr Name es fälschlicherweise vermuten lässt. Den Winterschlaf verbringen sie meist in frostfreien Erdhöhlen, in Nistkästen oder auf Dachböden, also in Menschennähe.

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Das, was wir salopp gesagt als Winterschlaf bezeichnen, ist in der Wissenschaft als Torporphase genauer definiert: Es sind Schlafzustände, bei denen die Stoffwechsel- und Energieumsatzprozesse auf ein Minimum reduziert werden. Alle Körperfunktionen laufen auf Sparflamme. Bei den Siebenschläfern fällt die Körpertemperatur auf Umgebungstemperatur ab. Ebenso sind Herzfrequenz und Atmung stark reduziert, das Gehirn zeigt fast keine Aktivität und wird nur gering durchblutet.

Siebenschläfer-Strichzeichnung

Die Torporphasen dauern mehrere Wochen an. Um überleben zu können, müssen die Tiere ihren Stoffwechsel jedoch immer wieder ankurbeln, weshalb die Phasen regelmäßig für ein paar Stunden unterbrochen werden. Diese Unterbrechungen, sogenannte Arousalphasen, sichern ihnen das Überleben. Jetzt arbeitet der Stoffwechsel auf Hochtouren. Die Körpertemperatur erreicht fast Normalwerte. Atmungs- und Herzfrequenz steigen an. Nach etwa acht Stunden kehren die Tiere dann wieder in die Torporphase zurück.

Regine Kossler leitet das Siebenschläferprojekt vom NABU Leverkusen und weiß: „Die mausähnlichen Nager können auch nach der Winterschlafphase tagsüber kurze Torporphasen haben. Dann liegen sie meistens wie tot da.“ Bei diesen Tagestorporphasen sind die Stoffwechselprozesse nur ein wenig reduziert. (Im Gegensatz zu den Torporphasen während des Winterschlafs, bei denen die Prozesse sehr stark reduziert sind.) „Ohne ausreichend Fettreserven und/oder wenn die Bedingungen schlecht sind, es sehr kalt und regnerisch ist und die Tiere kein Wasser vorfinden, dann gehen die Tiere auch während ihrer Wachphasen in den Tagestorpor über. Die Stoffwechselrate wird abgeschaltet, um Energie zu sparen. In der Nacht begeben sich die Bilche auf Nahrungssuche“, bestätigt Kossler.

Kurzzeitiges Aufwachen lebensnotwendig

Wie aber wirkt sich das monatelange Herunterfahren fast aller Stoffwechselprozesse auf die Erinnerung, die räumliche Orientierung und die Wahrnehmung der Siebenschläfer aus?

Das untersucht aktuell ein Forscher:innenteam um Dr. Claudia Bieber im Rahmen eines Projekts am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni Vienna).

Die Wissenschaftler:innen gehen unter anderem den Fragen nach, ob die Tiere nach dem Aufwachen im Frühjahr jedes Jahr aufs Neue ihre Umgebung neu erkunden und erlernen müssen und ob sie ihre Verwandten und Gruppenmitglieder wiedererkennen. Die Wildtierökologin Dr. Claudia Bieber weiß, dass „vorangegangene Studien (…) kein klares Bild [zeigen], (…) aber Hinweise auf negative Effekte des Winterschlafs [geben]“.

Siebenschläfer. Foto: Pixabay

Noch nicht geklärt ist, so die Wiener Forscher:innen, warum Winterschläfer die Phasen des Torpors immer wieder durch Arousals unterbrechen. Können diese kurzen Aufwachphasen dazu beitragen, die räumliche Orientierung und die Wahrnehmung aufrechtzuerhalten? „(…) wir [wollen] genau untersuchen, welchen Einfluss verschiedene Faktoren des Winterschlafs, wie die Häufigkeit der Arousals, eine minimale Körpertemperatur sowie die Dauer des gesamten Winterschlafs auf das Erinnerungsvermögen und die Wahrnehmung von Winterschläfern haben“, erklärt Bieber. Die Forscher:innen wählten für die Studie den Siebenschläfer als Untersuchungsart wegen seines langen Winterschlafs. Sollte sich dieser negativ auf Erinnerung und Orientierung auswirken, würden speziell diese Tiere im besonderen Maße darunter leiden, so die Vermutung.

Winterschlafverhalten wissenschaftlich untersucht

Den Siebenschläfern wurden kleine Datenlogger implantiert. Über einen Zeitraum von zwei Jahren (Beginn des Untersuchungszeitraums: Februar 2021) können die Forscher:innen damit zu jeder Zeit dokumentieren, wie aktiv die Tiere sind und welche Körpertemperatur sie haben. Bevor sich die pelzigen Kleintiere für den Winterschlaf zurückziehen, schauen die Forscher:innen unter anderem, wie sich die Nager in einem Labyrinth zurecht- und ob sie den Weg hinausfinden und sie beobachten, inwieweit die Tiere sich nach dem Winterschlaf noch an den richtigen Weg aus dem Labyrinth und an erlernte Symbole erinnern können. Biebers Vermutung zufolge scheinen sich die Siebenschläfer erinnern zu können. Im folgenden Jahr werden die Forscher:innen die Tiere mithilfe einer Kontrollgruppe beobachten: „Wir halten die Tiere bei 24 Grad Celsius – bei dieser Temperatur halten sie keinen Winterschlaf, sie bleiben also wach“ und bieten damit optimale Voraussetzungen für weitere Forschungen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen geben wir, sobald sie veröffentlicht wurden, hier bekannt.

Seit 1. Juni hat der NABU Leverkusen wieder zwei Webcams live geschaltet, damit jede:r online die possierlichen Tiere beim Wachwerden beobachten kann. Regine Kossler weiß: „Anfang Juni sind die Bilche noch recht schläfrig, aber die neugierigen Tiere werden schnell aktiv.“ Die Webcams sind in größere Meisenkästen integriert und mit LEDs versehen. Das Licht störe die Tiere nachweislich nicht und das Projekt sei bereits von der unteren Naturschutzbehörde genehmigt worden, bestätigt sie. Im Übrigen werden gerade Meisennistkästen gern einmal von wohnungssuchenden Siebenschläfern okkupiert oder sie übernehmen auch gern die groß gebauten Höhlen des Schwarzspechts.

Seit Pfingstsonntag zeigt sich in einem der Web-Cam-Nistkästen ein Siebenschläfer-Pärchen ganz aktiv und gewährt uns Einblicke in ihr Leben. Hier kann man sie live rund um die Uhr beobachten.

Marketing für den Artenschutz

Prinzipiell seien diese Säugetiere nicht gefährdet. „Sie stehen unter Artenschutz, aber sie sind nicht bedroht“, so Kossler weiter. „Mithilfe der Siebenschläfer versuchen wir Marketing für den Artenschutz zu betreiben.“ Warum sie gerade diese ‚Schlafmützen‘ dafür ausgewählt hat, wird schnell klar: „Es sind super Tiere, sehr heimelig, und es bereitet großen Spaß sie zu beobachten.“ Auch Wissenschaftlerin Claudia Bieber ist begeistert von diesen Tieren: „Es ist schon eine außergewöhnliche Art, die keinerlei Angst zu haben scheint. Richtige Krachmacher in der Nacht, nicht selten geben sie auffällig laute Pfeifgeräusche von sich.“ Normalerweise leben die Baumtiere in den Kronen der Bäume, was erklärt, weshalb man die nachtaktiven Kletterer so selten zu Gesicht bekommt. Und: „Sie gelten als wichtiger Marker für den Lebensraum Wald. Solange es alte Wälder mit Höhlenbäumen gibt, sind Siebenschläfer da.“

„Ökologisch richtig interessant werden die Bäume für die Tierwelt erst ab einem höheren Baumalter, ab 80 plus. Nur gibt es in unseren Wäldern heute selten sehr alte Baumbestände.“ Ein Grund, warum die als Kulturfolger angesehenen Siebenschläfer zunehmend in Häusern Unterschlupf suchen, stellt vermutlich doch ihr abnehmender Lebensraum dar: Sie bevorzugen Laub- und Mischwälder mit dichtem Eichen- und Buchenbestand oder waldnahe Obstgärten, wo sie sich in Baumhöhlen verstecken können. Beide Lebensräume nehmen immer mehr ab. So bleibt den Nagern nichts anderes übrig, als sich alternative Quartiere zu suchen.

Siebenschläfer ernähren sich überwiegend von Bucheckern und Eicheln, sind aber recht flexibel, was die Art der Nahrung anbelangt: Im Sommer stehen zusätzlich Knospen, Rinden, Früchte oder Pilze auf dem Speiseplan, selten auch mal Insekten, Vogeleier und kleinere Vögel. Das Futterangebot in den Herbstmonaten bestimmt, ob die Siebenschläfer Nachwuchs bekommen und den Winter überstehen werden.

Ein Zusammenhang zwischen Reproduktionserfolg und klimatischen Faktoren oder der Populationsdichte besteht nicht. Einmal pro Jahr werden normalerweise junge Siebenschläfer geboren. Die Anzahl der Nachkommen liegt pro Wurf häufig bei vier bis sechs. Natürliche Feinde wie Baummarder, Uhu und Waldkauz haben nur einen geringen Einfluss auf die Bestandsentwicklung des Siebenschläfers. Eine größere Gefahr gehe laut Kossler eher von Hauskatzen aus.

Steckbrief Siebenschläfer
Größe11-14 cm (Körper), 11-13 cm (Schwanz)
Gewicht120-150 g
Lebensdauer6-9 Jahre
NahrungBucheckern, Eicheln, Haselnüsse, Früchte, Rinde
FeindeMarder, Eulen, Waldkauz, Hauskatze
Lebensraum Mittel- und Südeuropa, Afrika, Asien
LebensraumLaubwald, Garten
Ordnung Nagetier
Familie Bilche
Wissenschaftlicher NameGlis glis
Merkmalehält 7 bis 9 Monate Winterschlaf, selten 11 Monate

Info zum Artenschutz

Siebenschläfer sind zwar keine gefährdete Art, sie dürfen jedoch nicht bekämpft werden und unterliegen dem besonderen Schutz der Anlage 1 der Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV). Für Ausnahmen muss man sich an die zuständigen Behörden für Naturschutz und Landschaftspflege wenden.

Begriffsbedeutung

Die meisten kennen die Bezeichnung Siebenschläfer von einer Bauernregel, die besagt, dass sich am 27. Juni entscheidet, wie das Wetter der nächsten sieben Wochen wird. Der Siebenschläfer-Tag hat mit dem Säugetier jedoch nichts zu tun, sondern leitet sich von der christlichen Legende der „sieben Schläfer von Ephesus“ ab.