Ein Plädoyer für die Ganzjahresfütterung

Blaumeise

Blaumeise im Anflug. Foto: Bert Schreck, NABU.

Zufüttern als Artenschutz / Projekt über ganzjährige Fütterungsstelle im Kreis Gütersloh angedacht

Ein Beitrag aus dem Jahr 2020.

Von Martina Vogt

Kreis Gütersloh: Kaum ein Tag ist vergangen, an dem in den Medien in den vergangenen Monaten das Insektensterben nicht in den Themenmittelpunkt gerückt worden ist. Dabei stellt der Insektenrückgang nur einen Bruchteil des weltweiten Artensterbens dar. In einem 2014 in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Artikel „Defaunation in the Anthropocene“  von Rodolfo Dirz, Hillary S. Young et al., vergleichen die Autoren das von den Menschen in den vergangenen 500 Jahren ausgelöste Artensterben in Ausmaß und Geschwindigkeit mit den fünf großen Massensterben der Erdgeschichte.

Rotkehlchen an einer Futterstelle. Foto: Kathy Büscher, NABU Rinteln

Erschreckende Erkenntnisse

Eines ist laut aktueller Studien bewiesen: Die Zahl der Vögel in der EU ist in den letzten 40 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Trauriger Rekordhalter ist das Rebhuhn und der Seggenrohrsänger (mit einem Rückgang von 95 Prozent ) seit 1950, konstatieren die Autoren Prof. Peter Berthold und Gisela Mohr in ihrem Buch „Vögel füttern, aber richtig“, 2017. Die Hauptursachen für den Rückgang der Arten sind der Klimawandel, die Zerstörung von Lebensraum, der Trend hin zu Monokulturen und der Verlust von Nahrung bedingt durch den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden.

Podcast zur Ganzjahresfütterung 2020

Was viele schon lange vermuteten, ist heute traurige Gewissheit: Das von uns Menschen verursachte Insektensterben hat direkte Auswirkungen auf unsere Vogelwelt. Der Schutz unserer Vogelarten ist heute wichtiger denn je. Lebensräume mit ihren natürlichen Ressourcen sollten erhalten werden und in den Fokus notwendiger Aktivitäten gerückt werden, um weitere Verluste von gefährdeten Vogelarten einzugrenzen. Eine kurzfristige Maßnahme zur Bekämpfung der Ursachen für das Vogelsterben stellt die Ganzjahresfütterung dar. Der NABU lehnt jene als Naturschutzmaßnahme teilweise ab.

Mit diesem Beitrag wollen wir in Diskurs gehen und das Thema Ganzjahresfütterung mit allen Wahrheiten und Irrtümern darstellen. Hier sind einige strittige Punkte in der Diskussion um die Ganzjahresfütterung aufgeführt:

Die größten Fehlannahmen über die Ganzjahresfütterung


In seinem Buch „Vögel füttern, aber richtig“ von 2017 spricht sich der Ornithologe Prof. Dr. Peter Berthold ganz klar für das Zufüttern wildlebender Vögel aus. Für viele Arten sei das Zufüttern eine absolut notwendige Überlebenshilfe geworden, um zumindest Restbestände vieler Vogelarten zu erhalten.

Streitpunkte innerhalb der Futterdebatte gibt es einige: Viele sind der Meinung, dass man mit dem Zufüttern ausschließlich  Allerweltsarten begünstigen würde. Dabei stellt sich die Frage, was ein Allerweltsvogel eigentlich ist. Denn die Arten, die heute noch als Allerweltsarten bezeichnet werden, werden vermutlich schon in naher Zukunft als gefährdet eingestuft. Als Beispiel für diese Annahme steht die Amsel, die allgemein als Allerweltsvogel bezeichnet wird. Die Zählung der Wintervögel im Jahr 2019 zeigte das bisher schlechteste Ergebnis. Am Beispiel der Amsel wurde in Hamburg ein Verlust von 42 Prozent dokumentiert.

England als Paradebeispiel

Weiterhin sind sich die Experten uneinig darüber, ob seltene Arten und Zugvögel durch das Zufüttern benachteiligt werden. Ein Blick auf die britische Insel, wo die Ganzjahresfütterung seit Jahrzehnten „zum guten Ton“ gehört, hilft zu verstehen, weshalb die kritische Betrachtung in unserem Land eine fatale Fehleinschätzung zu sein scheint.

Prof. Peter Berthold:
Bei uns „[…] wurde und wird die Vogelfütterung
verkannt, verzerrt (und) ideologisiert […].“

Großbritanniens richtiger Weg der Vogelfütterung

Fakt ist:  Der Bestand des Stieglitz hat sich bei uns in den letzten 25 Jahren halbiert. In Großbritannien steht er konträr dazu auf der Top-12-Liste der Vogelhausbesucher. Versechsfacht hat sich seit den 90ern der Gimpelbestand bei unserem Nachbarn, verdoppelt hat sich die Population an Buntspechten. Weitere gefährdete Arten, auch Zugvögel wie die Mönchsgrasmücke gehören zu den etwa 100 Arten, die europäische Futterplätze aufsuchen. Erwiesen ist, dass es den Vogelarten, die regelmäßig solche Stellen aufsuchen im Vergleich zu Fernbleibern wie zum Beispiel Mauersegler oder Kiebitz, relativ gut geht. Artikel aus der Fachzeitschrift Nature Communications

Heute stehen laut Berthold bei uns von allen Tier- und Pflanzenordnungen im Durchschnitt mindestens rund die Hälfte aller Arten in „Roten Listen“, das bedeutet, ihr Fortbestand ist ungewiss. Auch ehemalige „Allerweltsarten“ wie der Haus und Feldsperling oder der Star sind davon betroffen.

Feldsperlinge an der Futterstelle
Feldsperlinge an der Futterstelle. Foto:
Arne von Brill, NABU Verden.

Unsere Vogelwelt ist – und das lässt sich nicht leugnen – vor allem in den intensiv genutzten Landesteilen um einen beträchtlichen Teil dezimiert worden. Untermauert wird diese These durch eine Analyse des süddeutschen Dorfes Möggingen am Bodensee, in dem die Vogelwarte Radolfzell über 50 Jahre lang genaue Bestandserfassungen durchgeführt hat. Von ehemals 110 Brutvogelarten sind dort mittlerweile 35 Prozent verschwunden oder brüten nur noch unregelmäßig. Weitere 20 Prozent nehmen im Bestand ab und etwa zehn Prozent zeigen eine Bestandszunahme oder haben sich neu angesiedelt. Auf einer Probefläche von 4 Quadratkilometern ist die Individuenzahl von anfangs rund 3.300 Vögeln auf 2.100 zurückgegangen, konstatiert Berthold weiter. Hauptgrund dafür: Lebensraumverluste und –verschlechterungen, in erster Linie wegen kaum verfügbarer Nahrung. Eine weitere traurige Erkenntnis brachten die Ergebnisse aus der Mögginger Studie zu Tage: Es gibt kaum noch „Allerweltsarten“, die sicher mit uns leben können. Bedingt durch unsere rigorose Lebensart, so Berthold weiter, kann jede Vogelart von heute auf morgen von Bestandseinbrüchen betroffen sein. Beispiele wie Haus- und Feldsperling, Star, Feldlerche und Rauchschwalbe zeigen das deutlich.

Nur wenige Arten mit meist kleineren Populationen nehmen derzeit zu wie etwa Schwarzstorch, Kranich oder Neubürger wie Nil- und Rostgans. Viele andere Arten aber, allen voran Feld- und Wiesenvögel wie zum Beispiel Kiebitz, Star, Feldlerche und Hänfling nehmen weiter ab. Auch unsere häufigsten Vögel, die Amseln schwinden bedingt durch einen Virus-Befall.

Weltweit war 2009 jede achte Vogelart bedroht. 2011 war es jede siebte.  (IUCN 2011, z.B. Gefiederte Welt 135:7). Die Hauptursache dafür ist der Verlust an Lebensräumen und die immer intensiver betriebene Landnutzung.

Die nächste häufig verwendete Annahme lautet, Wildvögel wären auf Futterengpässe eingestellt, und diese würden an beerentragenden Sträuchern ausreichend Nahrung finden. Kleinvögel können aber nicht lange ohne Nahrung auskommen. Ein gut genährter Haussperling als Beispiel kann gerade mal 32 Stunden ohne Futter überleben. Das geht aus einem Bericht von Anton Khalilieh et al. „Physiological responses to food deprivation in the house sparrow, a species, not adapted to prolonged fasting”, 2012) hervor. Ein Kleinvogel, ist sich der Ornithologe Peter Berthold sicher, in der Größe einer Meise verliert etwa 2 bis 4 Gramm Körpergewicht in einer einzigen Winternacht. Das entspricht 10 bis 20 Prozent seines Gesamtgewichts.  Dass die Fütterung im Frühling und Sommer noch wichtiger ist als im Winter erklärt Prof. Berthold in einem Interview auf zeit.de.

Während unsere Winter relativ mild sind und unsere Wintervögel in dieser Jahreszeit recht wenig zu tun haben, geht es im Frühling und Sommer entsprechend rund: Mammutaufgaben wie Revierverteidigung, Brutgeschäft und Nahrungsbeschaffung für die Jungen gilt es zu stemmen, wofür sie große Mengen an Energie benötigen.

Der drastische Rückgang der Insekten und Wildkräutersamen hat zur Folge, dass die Vögel längere Flugstrecken zurücklegen müssen und damit wiederum einen höheren Energiebedarf decken müssen. Fetthaltige Nahrung (z.B. aus Meisenknödeln) kann dabei als Treibstoff für den Flugmuskel dienen und den Altvögeln die Jungenaufzucht erleichtern. Beeren hingegen sind für viele Arten als Zusatznahrung geeignet, sie führen als alleiniges Futter jedoch zum Tod.

Wintergoldhähnchen. Foto: Dr. Christoph Moning, NABU

Werden unsere Vögel faul?

Ebenfalls lang diskutiert wird hierzulande, ob die Vögel durch Zufüttern in eine Abhängigkeit zum künstlichen Nahrungsangebot gebracht werden. Werden sie gar bequem und füttern sie letzten Endes sogar ihre Jungtiere mit nicht geeignetem Futter von der Futterstelle zu Tode?
Bestätigt werden kann anhand von Beobachtungen von Futterplätzen über einen zwölf-monatigen Zeitraum hindurch, dass keinerlei Futterabhängigkeit entsteht. Wenn eine Vogelart seine Nahrung in ausreichendem Maß in freier Natur vorfindet, so ist sie in diesem Zeitraum auch nicht an einer Futterstelle anzutreffen. Gegen Ende der Brutsaison im September/Oktober gibt es die meisten Vögel. Und genau zu dieser Zeit werden die Futterstellen selten besucht, weil genau dann unsere Landschaft kurzzeitig aber in ausreichender Form Nahrung für die Wildvögel bereitstellt. Beobachtet werden konnte, dass gesunde Jungvögel, die  mit ungeeignetem Futter von einer Futterstelle versorgt werden, dieses schnell wieder aus dem Schnabel schleudern, bestätigt Prof. Berthold weiter. Jungvögel werden außerdem (fast) ausschließlich mit Insekten gefüttert. Unsere Singvögel verlernen es also nicht, selbstständig in der Natur nach geeigneter Nahrung zu suchen. Das Füttern an einer Futterstelle stellt entsprechend dieser und anderer Beobachtungen einzig ein Zufüttern dar.

Ein letzter Irrglaube soll hier aufgelöst werden: Die Vermutung, dass Dichtestress und ein erhöhtes Infektionsrisiko an Futterstellen bestünde und den Tieren enorm schaden würde.

Ein höheres Infektionsrisiko ist an Futterstellen möglich, das wird jedoch durch bessere physiologische – Kondition und Immunabwehr ausgeglichen, bestätigt Berthold in seinem Buch.

Aufgrund dieser Erkenntnisse befürworten bekannte Forscher, wie zum Beispiel Professor Dr. Peter Berthold, ehemaliger Direktor der Vogelwarte Radolfzell, die Ganzjahresfütterung. Ebenso zeigen unsere britischen Nachbarn, wie wichtig das Zufüttern für den Artenschutz und die Bestandserhaltung ist. Zudem belegen und untermauern unzählige Studien zum Thema Vogelfütterung die positive Wirkung der Ganzjahresfütterung.

Blaumeise
Blaumeise. Foto: Bert Schreck, NABU.

Offizielle Stellungnahmen aus dem NABU äußern sich ebenfalls positiv, dass unter bestimmten Voraussetzungen das ganze Jahr über gefüttert werden kann.

Wir vom Kreisverband Gütersloh lehnen die Ganzjahresfütterung ebenfalls nicht ab. Deshalb setzen wir uns aktuell für die Einrichtung einer Fütterungsstelle im Kreis Gütersloh ein. Die Umsetzung dieses Projektes betrachten wir als wichtigen Test, um den Wert der Ganzjahresfütterung weiter zu evaluieren, hier weitere Erfahrungen zu sammeln und die Ganzjahresfütterung wissenschaftlich begleiten zu lassen.

Für diese Einrichtung soll eine naturlandschaftlich wertvolle Fläche im stadtnahen Bereich zur Verfügung gestellt werden. Diese Fläche soll über einen größeren Altbaumbestand, eine Streuobstwiese und einen Tümpel verfügen. Um dieses Projekt realisieren zu können, bedarf es vieler fleißiger und engagierter Helfer und natürlich auch Spenden.

Spendenaufruf

Wer sich an unserem Projekt „Fütterungsstelle im Kreis Gütersloh“ beteiligen möchte, kann uns gern jederzeit kontaktieren über unsere Ansprechpartner Margret Lohmann (Vorstandsvorsitzende), margret.lohmann@nabu-guetersloh.de oder über Andreas Hänsel (Vorstand), andreas.haensel@nabu-guetersloh.de

Wir freuen uns über jede bei uns eingehende Spende!

Spendenkonto:
Sparkasse Gütersloh
IBAN: DE74 4785 0065 0000 0296 46
SWIFT-BIC: WELADED1GTL

Spenden und Mitgliedsbeiträge sind steuerlich absetzbar.

Vielen Dank für Eure Unterstützung!

NABU Gütersloh

Euer Team vom
NABU Kreisverband Gütersloh