Liebesbotin auf Abschussliste

Foto: NABU/R. Thierfelder - Turteltauben vom Aussterben bedroht.

Turteltaube. NABU/R. Thierfelder

Die Turteltaube – Vogel des Jahres 2020 benötigt dringend Schutz / Petition bis 10.02.2020 unterzeichnen

Von Martina Vogt

Kreis Gütersloh: Sie ist das Symbol schlechthin für Frieden, Hoffnung und Liebe: Die Turteltaube. Dass gerade ihre Lebensbedingungen ziemlich mau aussehen, ist umso trauriger. Im Vergleich zu ihren massenhaft auftretenden Verwandten ist die kleinere und zartere Turteltaube stark gefährdet. Mit der Wahl der Turteltaube als „Vogel des Jahres 2020“ wollen die Verbände auf die starke Gefährdung der Turteltaube aufmerksam machen, denn „seit den 80er Jahren ist der Turteltauben-Bestand in Deutschland um fast 90 Prozent auf höchstens 22.000 Brutpaare zurückgegangen. Ganze Landstriche sind turteltaubenfrei“, äußert sich NABU-Präsidiumsmitglied Heinz Kowalski.

Warum ist das so? Experten nennen als Gründe das Fehlen von geeignetem Lebensraum und Nahrung, zum Beispiel strukturreiche Wald- und Feldränder. Die Aufzucht ihrer Jungen wird deutlich erschwert bis zu unmöglich, wenn es der Turteltaube an Feldgehölzen und lichten, unterholzreichen Wäldern mangelt.

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NABU-VdJ-Federzeichnung-Turteltauben

Die Intensivierung der Landwirtschaft verschlechtert die Lebensbedingungen der Turteltauben und vieler anderer Feldvögel enorm. Durch die Ausweitung von Anbauflächen gehen Brachen, Ackersäume, Feldgehölze und Kleingewässer verloren. Damit verschwinden Nistplätze sowie Nahrungs- und Trinkstellen. Viele Äcker werden mit Herbiziden frei von Ackerwildkräutern gehalten.

Damit fehlt dem fast komplett vegan lebenden Vogel eine wichtige Nahrungsquelle. Außerdem ist chemisch behandeltes Saatgut vergiftete Nahrung für die Tauben. Der NABU kämpft seit Jahren für eine EU-Förderung der Landwirtschaft, die Natur erhält anstatt sie zu schädigen. Die Turteltaube ist der erste vom NABU gekürte Vogel, der als global gefährdete Art auf der weltweiten Roten Liste steht.

Vogeljagd gefährdet stark bedrohte Art

Als würde das nicht schon reichen, so gibt es noch eine weitere Bedrohung für die kleine Liebesbotin, die als einzige Langstreckenzieherin in Afrika, südlich der Sahara, überwintert. Für den weiten Weg ist der Friedensvogel gut gewappnet, er kann bis zu 700 Kilometer ohne Unterbrechung fliegen mit bis zu 60 Stundenkilometern.  Auf ihrem Zugweg ist die Turteltaube jedoch durch legale und illegale Jagd ebenfalls massiv gefährdet. Pro Jahr werden in der Europäischen Union nach wie vor rund zwei Millionen Turteltauben getötet.  „Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die jährlich mehr als 1,4 Millionen in der EU legal geschossenen Turteltauben von der Art nicht mehr verkraftet werden können. Besonders skandalös: In manchen Ländern gilt das Schießen der stark gefährdeten Turteltauben als ,Sport‘ zum reinen Vergnügen“, sagt Eric Neuling, NABU-Vogelschutzexperte.

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Foto: birdlife. Malta: abgeschossene Turteltaube

In zehn EU-Ländern dürfen Turteltauben nach wie vor legal bejagt werden, obwohl laut EU-Vogelschutzrichtlinie die Jagd ausdrücklich eingestellt werden muss, sobald die Bestände gefährdet sind. Alle in Deutschland brütenden Tauben sind davon betroffen, da sie diese Länder auf dem Weg in ihre Wintergebiete und zurück durchqueren.

Zwischen Ende Juli und Anfang Oktober verlassen die Vögel ihre Brutgebiete in Europa. Wie Ringfunde und besenderte Tiere gezeigt haben, gibt es dabei drei Hauptzugrouten: Der größte Teil der deutschen, französischen und britischen Tauben folgt der Westroute über Gibraltar, während Vögel aus Tschechien und Ungarn entweder den zentralen Weg über Italien und Malta wählen oder die Balkanroute über Griechenland. Ab Ende April kehren sie dann wieder in ihre Brutgebiete zurück.

Um den gefiederten Liebesboten zu schützen, fordert der NABU die Bundesregierung mit einer Petition (www.vogeldesjahres.de/petition) auf, sich neben einer verbesserten Landwirtschaftspolitik auch für das dauerhafte Aussetzen der Abschussgenehmigungen in den EU-Mitgliedsstaaten einzusetzen.  Bitte helfen Sie mit und unterzeichnen Sie unsere Petition bis zum 10. Februar 2020 online. Zum Valentinstag am 14. Februar 2020 werden wir der Bundesumweltministerin alle Unterschriften für den Schutz unserer Liebestaube überreichen.

Taubenfreundlich essen – geht das?

Turteltaube Foto: Manfred-Delpho
Turteltaube. Foto:
NABU/M. Delpho

Der Vogel des Jahres wird seit 1971 jedes Jahr von NABU und LBV gekürt. Alle Jahresvögel im Überblick finden Sie hier.

Mit dem bloßen Verzehr von Linsen oder Erbsen kann man den Tauben helfen? Richtig! Für unseren Jahresvogel stellen diese Nahrungsmittel eine wichtige und begehrte Futterquelle dar. Früher waren solche und andere Hülsenfrüchte, sogenannte Leguminosen, viel häufiger auf unseren Feldern zu finden, heute höchstens noch im Ökolandbau. Damals wurden sie als Zwischenfrüchte zur Verbesserung des Bodens in die Fruchtfolge von Getreide eingefügt. Dann ersetzte der zunehmende Einsatz von Kunstdünger die Leguminosen. Heute wissen wir: Die leckeren Linsen schmecken und sie helfen Mensch und Taube.

Interview

Vier Fragen an Dr. Philip Hunke

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Michael-Otto-Institut des NABU (Ansprechpartner im Projekt F.R.A.N.Z.)

WAS HILFT DER TURTELTAUBE IN DER AGRARLANDSCHAFT?
Es gibt eine vergleichsweise einfache Möglichkeit: Jungvögel brauchen zwingend Kleinstgewässer im Umkreis von 300 Metern, um zu trinken. Auf vielen Äckern, insbesondere im nordostdeutschen Tiefland, gibt es sogenannte Sölle. Das sind inselartige Kleingewässer von maximal einem Hektar Größe, die sich als Hohlformen nach der letzten Eiszeit gebildet haben. Allein in Mecklenburg-Vorpommern gibt es davon um die Zehntausend. Das sind für die Turteltaube, aber auch viele andere Arten wie die Feldlerche, Goldammer, das massiv bedrohte Braunkehlchen und verschiedene Amphibien wichtige Biotope.

WAS KÖNNEN LANDWIRTE KONKRET TUN?
Um Sölle als wertvollen Lebensraum zu erhalten, müssen diese von der Bewirtschaftung ausgenommen werden. Am besten bleibt ein Pufferstreifen von zwölf Metern um das Gewässer herum unbewirtschaftet. Noch besser ist es, wenn um den Soll eine düngemittel- und pestizidfreie 50-Meter-Zone ausgespart wird. Auf diese Weise kann das Biotop in einen wertvollen Korridor zwischen zwei Feldgrenzen verwandelt werden. Dort können dann Wildkräuter Samen bilden, die von den Tauben gefressen werden. Sind dazu noch Feldgehölze oder ein Waldstreifen in der Nähe vorhanden oder werden neu angelegt, kann die Turteltaube hier auch brüten. Da gibt es sehr viel Potenzial.

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Turteltaube. Foto: Gerhard Kettenring

WO FINDEN LANDWIRTE UNTERSTÜTZUNG?
Sie können die Agrarumweltprogramme der Bundesländer nutzen und solche Soll-Pufferflächen als Brache anmelden, welche mit einer Blühmischung aus standortangepassten heimischen Wildkräutern oder als sich selbst entwickelnde mehrjährige Brache zu einem wertvollen Lebensraum wird. Wenn das Soll im Acker liegt, ist es als „Notfalllösung“ auch möglich, eine Anbaufläche mit Bejagungsschneise im entsprechenden Agrarantrag einzugeben. Auskunft dazu geben die Landwirtschaftskammern und die Offizialberatung. Auch eine Nachfrage bei der unteren Naturschutzbehörde kann hilfreich sein.

WAS WÜRDEN SIE SICH NOCH WÜNSCHEN?
Der ideale Lebensraum im Agrarland für nahezu alle Arten besteht aus strukturreichen Feldrändern, wo sie ausreichend und pestizidfreie Samen von vielen unterschiedlichen Wildkräutern oder Insekten finden. Zum Brüten sind darüber hinaus Feldgehölze oder kleine Waldstücke wichtig. Abwechselnde Feldkulturen und kleinere Schläge würden der Turteltaube und vielen anderen Feldvögeln ebenfalls sehr helfen.

Auf den Punkt gebracht: Wollen wir (wieder) mehr Artenvielfalt auf dem Acker, müssen wir einen Weg aus der intensiven Landwirtschaft finden.