Hat unsere Buche noch ’ne Chance?

Naturschutzgebiet Gartnischberg. Foto-Collage: M. Vogt

Von Martina Vogt

Teil 1: Exkursion durch den Haller Stadtwald mit Buchen- und Buchenmischwäldern

Nicht schlecht staunte ich, als ich während der im Herbst (2022) geführten NABU-Exkursion sah, was sich alles hinter dem Naturschutzgebiet „Gartnischberg“ verbirgt: ein von Buchen- und Buchenmischwäldern dominierender Stadtwald, extensives Grünland – nur noch sehr selten zu findende Kalkmagerrasen, eine jahrhundertealte Waldgrabstätte und ein unter Naturschutz gestellter Steinbruch.

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Wilhelm Gröver und Wolfgang Schulze, beide sind ehemalige Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises Gütersloh, Annette Pagenkemper, ebenfalls vom Kreis, Stephan Borghoff, Umweltbeauftragter der Stadt Halle und Ingo Jürgens von der Biologischen Station Gütersloh/Bielefeld führten uns und etwa 20 Naturinteressierte durch einen Teil des über 100 Hektar umfassenden Naturschutzareals, das im Stadtgebiet Halle liegt. Das Fauna-Flora-Habitat-Gebiet (FFH) „Östlicher Teutoburger Wald“ umfasst im Kreis Gütersloh mit rund 1.000 Hektar den Oberkreide-Kalkzug von Borgholzhausen bis Bielefeld. Die Waldbereiche im Gartnischberg gelten teilweise als gesetzlich geschützte Biotope.

„Was wir hier aktuell vorfinden, sind teilweise erkrankte Waldbestände, sogenannte Kalamitäts-Flächen und abgestorbene Fichtenbestände, die wirtschaftlich nicht mehr nutzbar sind“, berichtet Annette Pagenkemper. Sie zeigt auf eine Waldfläche direkt vor uns. Für den Kreis stelle sich nun die Frage: „Machen wir auf diesen Flächen mit der Fichte weiter oder besser mit einer Laubholzart?“ Das sei keine leicht zu beantwortende Frage. Aus diesem Grund arbeitet der Kreis Gütersloh hierbei eng mit den hiesigen Förstern zusammen. „Gemeinsam wird es leichter sein festzustellen, welcher der richtige Waldbautyp für die jeweilige Waldfläche ist und welcher sich optimal an die hier gegebenen Standortbedingungen anpassen kann“, so Pagenkemper weiter.

An vielen Stellen wächst die Buche nicht mehr

„Hier haben wir ein breites Szenario an Waldtypen, die irgendwann das Ganze übernehmen werden. Ob wir dann später, wenn sich die Buche verabschiedet, an den Stellen aufforsten müssen, wissen wir noch nicht“, fährt Pagenkemper fort. Auf diesem Standort könne man keinen Rotbuchen-Bestand pflanzen, eher Traubeneichen. Geklärt werden müsse noch, inwieweit das mit der FFH-Richtlinie zusammenpasst. Die gibt zum Beispiel einen Rotbuchen dominierenden Wald vor. „Und das wird an einigen Standorten im NSG-Gebiet gar nicht funktionieren“, ist sich Pagenkemper sicher. Fakt ist: Die Buche wächst an vielen Stellen auf dem Gartnischberg nicht mehr. Stellenweise wurde hier mit der Traubeneiche als Hauptbaumart aufgeforstet, wobei die Rotbuche dominierend ist.

Auf dem Gartnischberg sieht es nicht anders aus als im restlichen Teutoburger Wald: Der Gesamtwasserhaushalt im Naturschutzgebiet ist sehr gering. „Aufgrund der Trockenheit hat sich die Fichte komplett verabschiedet und der Borkenkäfer hat freie Fahrt. Auch die robusteren Buchen leiden aufgrund der langen Trockenphase. Und noch mehr Bäume, die jetzt noch grün sind, werden bald sterben“, prognostiziert die Naturschutzexpertin vom Kreis.

Bei einem Baum-Symposium in NRW vor einigen Jahren wurde empfohlen, nicht die Rotbuchen, die in der Region Ostwestfalen groß geworden sind, zu pflanzen, sondern Rotbuchen aus Ostdeutschland und aus den Balkan-Gebieten zu verwenden. „Dort gibt es viel Buchenbestand und dort hat unsere Buche ja ihren Ursprung. Diese Buchen sind es gewohnt mit weniger Niederschlägen auszukommen“, weiß Stephan Borghoff, der als Umweltbeauftragter der Stadt Halle tätig ist. „Wir haben mal ein wenig ausprobiert: Auf einer Fläche haben wir die Buche aus Kroatien gepflanzt und in Hesseln auf einer Kalamitätsfläche Rotbuchen aus Sachsen.“ Ob diese Herkünfte hinsichtlich Trockenstress unempfindlicher sind, wird sich erst in einigen Jahrzehnten zeigen.

Exkursion ins Naturschutzgebiet Gartnischberg. V.l.n.r.: Margret Lohmann, Wilhelm Gröver, Stephan Borghoff und Annette Pagenkemper im Gespräch. Foto: M. Vogt

Wie stark die Schadsymptome an unseren Buchenbeständen zugenommen haben, wird auf der Internetseite von Wald und Holz NRW beschrieben. Symptome wie etwa frühzeitiger Laubverlust, Kurztriebhäufung und Spießkronenbildung. Auch die Häufung von Witterungsextremen wie Dürre und Frostereignisse schwächten die Vitalität der Bäume enorm. (Fach-Kolloquium „Zukunft der Buche in Nordrhein-Westfalen“ vergangen Sommer, 2022)

Neuer Wald entwickelt sich

Wir gehen weiter durch das Naturschutzgebiet und Annette Pagenkemper hält uns an einer Fläche mit überwiegender Eschen-Anpflanzung zum Warten an: Diese Fläche hier bestand ursprünglich mal aus Fichten. Vor etwa 25 Jahren hat der Kreis Gütersloh zusammen mit dem zuständigen Förster breite Gassen in den damals etwa 40-jährigen Fichtenbestand geschlagen und auf diesen Gassen aus naturschutzfachlichen Gründen Eschen gepflanzt. Der 65-jährige Fichtenbestand ist in den vergangenen drei Jahren vom Borkenkäfer dahingerafft worden, wodurch jetzt ein Überstand aus Eschen vorhanden ist. „Sieht gar nicht schlecht aus, was da wächst“, freut sich Pagenkemper sichtlich. Bei genauem Hinsehen entdecken wir, dass der neue Wald im Unterstand hervorkommt. „Alles in allem haben wir hier ein bisschen experimentell gearbeitet und nun einen verjüngten Überstand aus Eschen hervorgebracht.“ Darunter werde sich ein neuer Wald entwickeln, ohne dass neu angepflanzt werden müsse.

Besteht hier die Gefahr des sich ausbreitenden Eschenpilzes, der das Eschentriebsterben verursacht? Mit der beruhigenden Antwort: dass der Pilz in Halle keine Bedrohung darstellt. Ein paar Eschen wurden im Haller Stadtgebiet zurückgeschnitten wegen der Pilzgefahr. Doch diese Bäume haben sich nach dem ersten Rückschnitt erholt, laut Borghoff. Eschen gehören zu den trockenheitsresistenten Arten. Im Gartnischberg gibt es mehrere Eschenbestände. „Und alle sehen sehr gut aus und verjüngen sich sehr gut“, bestätigt auch Annette Pagenkemper.

Wolfgang Schulze, ausgebildeter Naturführer, und Annette Pagenkemper vom Kreis Gütersloh. Fotos: M. Vogt

Jede Waldfläche ist anders

Langsam gehen wir weiter und kommen am Nordhang an. Hier ist es kühler im Gegensatz zum Südgebiet, das voll besonnt ist. „Im Süden ist das Wasser sofort weg. Dort gibt es eine geringere Bodenfeuchtigkeit als am Nordhang“, so Pagenkemper. Wir schauen auf eine Fläche mit Elsbeeren-Anpflanzung. Hier wurde vor circa zehn Jahren aufgeforstet und überwiegend Buchen eingepflanzt. „Dennoch ist’s ein Mischwald, denn wir haben die Elsbeere hinzugenommen, jedoch nicht untergemischt.“ Gemeint ist, dass die Elsbeere zu konkurrenzschwach ist. Aus diesem Grund wurde sie nur für einzelne Bereiche ausgesucht. An manchen Bäumen erkennen wir rote Markierungen. „Das sind die Bäume, die wegkommen, damit die Elsbeere an diesen Stellen optimal gefördert wird“, erklärt uns die Naturschutz-Expertin vom Kreis. Die Fläche besticht durch überwiegende Naturverjüngung. „Wir müssen noch ein bisschen warten, bis sich zeigt, welche Baumarten sich hier behaupten können und welche nicht.“

Die Buchenwälder sind einer der Hauptgründe, weshalb der Gartnischberg zum Flora-Fauna-Habitat-Gebiet erklärt worden ist, erzählt uns Wilhelm Gröver: „Wir haben hier einen Waldmeisterbuchenwald und an einigen wenigen Standorten Orchideenbuchenwälder, wobei letztere immer seltener werden.“ Der gesamte Teutoburger Wald ist ein Buchenwaldstandort. Der Gartnischberg ist nur ein kleiner Wald von vielen. Fraglich ist, ob wir den Lebensraum der Buche überhaupt erhalten können: „Buchen sind doch gar nicht darauf eingestellt. Manche schaffen es. Wir versuchen ihnen eine Chance zu geben und verwenden genetisch unterschiedliche Buchen und auch Eichen aus südlichen Ländern, da die trockenheitsresistenter und robuster sind.“ Einen Versuch sei es wert, schlussfolgert Gröver. „Wir beobachten und schauen, welche Pflanzen sich durchsetzen können.“ Die Genetik und eine vernünftige Aufforstung, also das Anpflanzen von Bäumen oder das Aussäen von Samen, seien dabei die wichtigsten Stellschrauben.

Naturschutzgebiet Gartnischberg. Foto: Martina Vogt

So lecker wie der Duft aus der Pommesbude“

Wenn dann die Jungpflanzen anfangen zu wachsen, ist das zwar ein Grund zur Freude. Damit ist die Arbeit für Förster und Untere Naturschutzbehörde jedoch nicht getan: „Großen Schaden kann das Rehwild anrichten. Es frisst gern die frisch angepflanzten Bäume, Pflanzen oder Triebe oder der Bock fegt die Baumhülle ab und hinterlässt dadurch großen Schaden. Die Pflanzen, die wir von außerhalb, zum Beispiel aus einer Baumschule, einbringen, sind für Rehe wie ein Magnet. Für die Tiere ist das so verlockend wie für manch einen der Duft aus der Pommesbude“, beschreibt es Gröver. Die Vogelkirsche aus der Baumschule zum Beispiel reize das Rehwild. Deshalb wird auf dem Gartnischberg gezäunt und so die Jungpflanzen geschützt. „Von den Kosten her gesehen, ist Gatterung zu heftig und häufig teurer als die Pflanzung selbst. Daher überlegt man landesweit, das Rehwild mal ein paar Jahre scharf zu bejagen. So lange, bis die Jungpflanzen groß genug sind“, so Gröver. Das sei aber eine Diskussion, die mit den Förstern und Jägern geführt werden müsse.

Mit Mini-Bagger und Meißel

Warum wird eigentlich die ganze Zeit gemischt? „Weil das Anpflanzen eines reinen Buchenwaldes heute nicht mehr geht“, bestätigt Annette Pagenkemper. „Deshalb mussten wir uns etwas anderes überlegen. 2021 haben wir drei Kalamitätsflächen aufgeforstet, auf denen vorher überall Fichten standen, die komplett tot waren.“ Drei Aufforstungen und alles wurde gegattert. Die Eiche dominiert. Daneben wurden Traubeneiche, Winterlinde, Rotbuche (nur untergeordnet), Hainbuche, Spitzahorn und Vogelkirsche gepflanzt. „Das ist eine Eichen betonte Pflanzengesellschaft und die konnte gefördert werden. Die Aufforstung an der Straße „Hengeberg“ haben wir Rotbuchen dominiert gepflanzt. Hier haben wir 60 Prozent Eiche, der Rest sind Nebenbaumarten.

Man stelle sich vor, wie schwierig diese Arbeit gewesen sein muss: „Mit Mini-Bagger und Meißel fingen wir an zu pflanzen. Wir haben hier eine wirklich geringe Auflage und dann kommt Kalkgestein.“ Durch den recht feuchten Herbst 2021 gingen die Pflanzen jedoch gut an.

Naturschutzgebiet Gartnischberg. Foto: Martina Vogt

Im nachträglichen Telefongespräch mit Förster Johannes Otto Lübke von Wald und Holz NRW sei es nur sinnvoll, hier die Baumarten anzusiedeln, die heimisch sind und alles unter dem Aspekt der Klimaveränderung zu betrachten. Eiche, Buche, Hainbuche und Edellaubbäume wie Linde und Elsbeere schlägt er vor. Von nicht heimischen Baumarten wie der Douglasie rät der Förster nicht generell, aber in Naturschutzgebieten, ab. Warum? „Weil wir in einem Naturschutzgebiet einen anderen Schwerpunkt setzen. Hier wollen wir die dort vorkommenden Arten erhalten und keine fremdländischen Arten einbringen.“ Hat nun unsere Buche noch eine Chance auf dem Gartnischberg? „Die hat sie nur, wenn die kommenden Sommer weniger trocken werden. Mehrere Trockenheitsphasen kurz hintereinander sind schlimm. Der Wasserzufluss fehlt. Das ist wie ein Dolchstoß für die Buche“, weiß Wilhelm Gröver.

Durchforstung: Ja oder Nein?

So dramatisch das Ganze sich auch gerade darstellt, hier auf dem Gartnischberg ist immer noch überwiegend Buche vorhanden, fügt Stephan Borghoff hinzu. Und das ist auch sichtbar: Es kommt einiges an Naturverjüngung hoch. „Womit wir uns gerade schwertun, ist das Thema Durchforstung.“ Durchforstung meint: das gezielte Entnehmen von Bäumen. „Ich möchte aber doch den Bestand, der da ist, erhalten! Wenn ich die Buchen weiter freistelle, dann stehen die in der Sonne, bekommen Sonnenbrand und gehen kaputt. Laut Borghoff werden trockene Bäume hier im Wald nicht einfach abgesägt, denn das Totholz ist wichtig. Und die abgestorbenen Bäume sind als Wertholz nicht sonderlich gefragt.

Ausschnitt Naturschutzgebiet Gartnischberg.

„Angenommen wir fangen an zu durchforsten und nehmen einen gesunden Baum heraus. Das wär’ vielleicht der Baum gewesen, der – gerade im Hinblick auf Naturverjüngung – überlebt hätte. Der mit Trockenheit gut zurechtkommt. Dann sollten wir den doch unbedingt stehenlassen.“

Durchforstung, findet, laut Borghoff, von alleine statt. „Wenn wir uns den Stadtwald hier genauer anschauen, sieht das nicht so aus, als würden diese Bäume hier die nächsten fünf Jahre überleben. Das hier nennt sich natürliche Durchforstung. Es sind eben Bäume dabei, die schaffen es nicht. Ich bin eher dafür mit unseren heimischen Baumarten noch was zu machen und eventuell andere Herkunftsgebiete miteinzubeziehen.“

Link zum 2. Teil des Berichts Naturschutzgebiet „Gartnischberg“ / Steinbruch Gödeke

Link zum 3. Teil des Berichts Naturschutzgebiet „Gartnischberg“ / Waldgrabstätte am Haller Lotteberg