Mysteriöses Meisensterben

Erkrankte Blaumeise. Foto: Otto Schäfer

Erkrankte Blaumeise – Foto: Otto Schäfer


Update vom 21.04.2020

Ursache für mysteriöses Blaumeisensterben gefunden

Aktuell gibt es Hinweise für das vermehrte Blaumeisensterben. Ein Bakterium löst die Lungenkrankheit bei den Tieren aus. Das bestätigt das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves).
Für Menschen und andere Tiere bestehe aber kein Gefährdungspotenzial.

Erstmals wurde das Bakterium Suttonella ornithocola im Frühjahr 1996 in England und Wales für ein massives Meisensterben verantwortlich gemacht. In Nordrhein-Westfalen ist es erstmals im Jahr 2018 registriert worden.

Erkrankte Tiere zeigten eine Lungenentzündung und vereinzelt Erkrankungen des Darms. Über die Infektionswege ist wenig bekannt. Eine Übertragung via Aerosol oder durch Kontakt mit infizierten Sekreten sei denkbar. Menschen oder andere Tiere seien laut Laves „scheinbar nicht gefährdet“.


Melden Sie uns krank wirkende oder tote Blaumeisen!

Kreis Gütersloh: Seit März werden aus vielen Gärten Blaumeisen gemeldet, die krank wirken und schnell sterben. Bitte helfen Sie mit, herauszufinden, was los ist! Melden Sie Fälle über unser Online-Formular und reichen Sie, wenn möglich, Blaumeisen-Opfer zur Untersuchung ein.

Derzeit grassiert eine ansteckende Krankheit in der Vogelwelt, vor allem Blaumeisen scheinen betroffen zu sein. Auch im Kreis Gütersloh wurden erste Fälle gemeldet, erklärt NABU-Sprecherin Iris Barthel.

Ab dem 11. März 2020 wurden erste Fälle aus Rheinhessen in Rheinland-Pfalz und den angrenzenden Regionen am Mittelrhein in Hessen bekannt, später folgten Hinweise bis nach Thüringen. Um die Ausbreitung dieses neuen Phänomens und seine Auswirkungen auf Vögel zu erfassen und zu bewerten, bittet der NABU um die Meldung kranker oder toter Blaumeisen und das Einsenden von Proben zur Untersuchung.

Update 17. April: Über 11.000 Meldungen sind bisher eingegangen!

Seit Beginn des Meldeaufrufs am 9. April 2020 sind beim NABU bereits über 11.000 Fälle toter und kranker Vögel gemeldet worden – in den meisten Fällen waren es Blaumeisen. Die Herkunftsorte der Meldungen zeigen eine klare Häufung in einem Streifen quer durch Westdeutschland von Rheinland-Pfalz und dem Saarland bis Hessen sowie in Teilen des westlichen Niedersachsen (siehe Karte weiter unten).

Besonders betroffen erscheinen die Landkreise entlang der unteren Mosel in Rheinland-Pfalz, aber auch die Region um Oldenburg in Niedersachsen. Zumindest in diesen Gebieten kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass eine besondere Sterblichkeit insbesondere bei Blaumeisen vorliegt. Ohne weitere Analysen ist nicht auszuschließen, dass Meldungen aus anderen Teilen des Landes lediglich die üblichen Sterberaten abbilden. Der NABU bittet selbstverständlich weiterhin um Meldungen von Verdachtsfällen aus dem ganzen Bundesgebiet.

Labordiagnosen zum Auslöser stehen noch aus und können voraussichtlich ab 27. April erwartet werden. Einige Eigenschaften der Krankheitswelle würden jedoch gut zu einer für Menschen ungefährlichen bakteriellen Infektion passen, die in der Vergangenheit vor allem in Großbritannien zu Lungenentzündungen bei Meisenarten geführt hat. Seit 2018 ist diese Infektion in geringem Ausmaß auch aus Deutschland bekannt. Wir werden darüber informieren, sobald sich dieser Verdacht bestätigt oder widerlegt werden kann.

Von der jetzt auftretenden Krankheit betroffen sind anscheinend vor allem Blaumeisen, in einzelnen Fällen auch Kohlmeisen oder andere kleine Singvögel.

Meldungen zum Meisensterben je Landkreis pro 100.000 Einwohner, Stand 17. April 2020 *(s.u.) - Grafik: Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin/Renke Lühken
Meldungen zum Meisensterben je Landkreis pro 100.000 Einwohner, Stand 17. April 2020 *(s.u.) – Grafik: Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin/Renke Lühken

Die erkrankten Vögel werden meist in der Umgebung von Futterstellen in Gärten beobachtet und fallen dadurch auf, dass sie nicht mehr auf ihre Umwelt reagieren. Es wurde beobachtet, dass Blaumeisen, die kurz darauf starben, apathisch und aufgeplustert auf dem Boden saßen und keine Fluchtversuche bei sich nähernden Menschen unternahmen.

Weitere mutmaßliche Symptome der Krankheit sind, dass die Vögel wirken, als hätten sie Atemprobleme, Teile des Kopfgefieders sind ausgefallen, die Augen wirken verklebt. Sie nehmen kein Futter mehr auf oder können anscheinend nicht mehr schlucken. Manche Meisen wirken, als hätten sie unstillbaren Durst.

Passt nicht zu bekannten Vogelkrankheiten

Angesichts der besonderen Betroffenheit von Blaumeisen und der Jahreszeit des Auftretens passt keine der bekannten kursierenden Vogelkrankheiten zum neuen Phänomen. Das von Stechmücken übertragene Usutu-Virus tritt im Sommer auf und befällt vor allem Amseln. Das in Deutschland neue West-Nil-Virus ist ebenfalls auf den Hochsommer beschränkt. Trichomoniasis benötigt ebenfalls sommerliche Temperaturen und äußert sich vor allem in einem Sterben von Grünfinken. An ungepflegten Futterstellen regelmäßig auftretende Salmonellen-Vergiftungen wirken ebenfalls nicht spezifisch auf Blaumeisen und sind bereits bundesweit verbreitet.

Die beobachteten Symptome und die gehäuft gefundenen Blaumeisen – oft werden bis zu fünf tote Meisen aus einem Garten gemeldet – lassen vermuten, dass es sich um eine hochansteckende Infektionskrankheit handelt. Leider wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts über die Krankheit oder den Erreger.

Kranke Blaumeise. Foto: Otto Schäfer

Es liegt nahe, dass die Krankheit besonders dort übertragen wird, wo viele Vögel aufeinandertreffen, worauf der übliche Fundort in der Nähe von Vogelfütterungen hinweist. Daher rät der NABU grundsätzlich dazu, bei Beobachtungen von mehr als einem kranken Vogel an Fütterungen, diese Fütterung und die Bereitstellung von Tränken sofort einzustellen – sozusagen als „Social Distancing“ für Vögel.

Auffällige Beobachtungen bitte melden

Helfen Sie uns, die Ausbreitung dieser neuartigen Krankheit bei Blaumeisen nachzuvollziehen, indem Sie uns Beobachtungen über das Meldeformular auf dieser Seite zukommen lassen. Über dieses Formular sollten Sie melden, wenn Sie kranke oder vermutlich an einer Krankheit gestorbene Blaumeisen in Ihrer Umgebung feststellen. Bitte machen Sie dabei möglichst genaue Angaben zu Fundort, Funddatum und den näheren Fundumständen und zu den Symptomen der Vögel. Der NABU sammelt alle Daten, wertet sie aus und stellt sie weiteren Wissenschaftlern zur Verfügung. Diese einfache Methode hilft uns, das Ausbruchsgeschehen zu verfolgen, geografisch zuzuordnen und mögliche Ursachen und Auswirkungen zu identifizieren.

Die toten TIere bitte nur mit Schutzhandschuhen anfassen. Foto: Otto Schäfer

Das können Sie tun: Einsendung toter Vögel

Noch ist unbekannt, was die Blaumeisenkrankheit auslöst. Es könnte ein Virus sein, aber auch andere Krankheitsauslöser sind möglich. Zur Ursachenfindung ist eine veterinärmedizisiche Untersuchung tot aufgefundener Blaumeisen dringend notwendig.

In der Regel nehmen Untersuchungsämter aller Bundesländer die toten Tiere an und leiten diese weiter. Privatpersonen können den Amtstierarzt des Kreises aufsuchen, der üblicherweise die toten Vögel über die Amtsstelle an das jeweilige Untersuchungsamt leitet. Ist dies nicht möglich, nimmt auch das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg (BNI) die Proben in Empfang, testet diese auf Viren und organisiert weitere Untersuchungen in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin.

Bitte unterstützen Sie die wissenschaftliche Untersuchung toter Vögel durch das Einreichen oder Einsenden toter Vögel. Die Vögel sollten baldmöglichst eingesammelt und entweder tiefgefroren oder frischtot eingeschickt werden. Bitte beachten Sie dazu folgende Punkte:

  • Da die Ursache des Blaumeisensterbens bisher unbekannt ist, kann eine Infektionsgefahr von den Vögeln ausgehen. Zum Hantieren mit toten Vögeln wird grundsätzlich das Verwenden von Handschuhen oder einer umgestülpten Plastiktüte sowie eine anschließende Händereinigung empfohlen.
  • Tote Vögel sollten nach vorheriger Rücksprache direkt an das zuständige Kreisveterinäramt abgegeben werden. Nur wenn dies nicht möglich ist, können sie auch direkt an das BNI in Hamburg versandt werden.
  • Sorgen Sie bitte für einen zügigen Versand und eine sichere Verpackung! Idealerweise sollten die Vögel mit einem Tiefkühlakku versehen, gut gepolstert und wasserdicht verpackt versendet werden. In den Sommermonaten ist eine Isolation mit Styropor sinnvoll.
  • Es empfiehlt sich besonders vor Wochenenden die Einsendung mit dem BNI oder den Untersuchungsämtern vorab telefonisch abzustimmen.
  • Ist ein sofortiger Versand nicht möglich, müssen die Vögel bis zum Versand gut verpackt tiefgefroren aufbewahrt werden.
  • Einsender sollten auf der Verpackung den Schriftzug „Freigestellte veterinärmedizinische Probe“ anbringen. Um die Proben unter den ebenfalls eingesandten Usutu-Verdachstfällen (meist Amseln) priorisieren zu können, ergänzen Sie bitte das Stichwort „Blaumeise“.
  • Fügen Sie Ihrer Sendung genaue Informationen zum Absender sowie zu Fundort (mit PLZ) und Funddatum bei.
  • Leider können keine Versand- und andere Unkosten erstattet werden. Wie zahlreiche Mitmenschen unterstützen Sie mit ihrer Zuarbeit jedoch die Erforschung des Blaumeisensterbens tatkräftig!
  •  Die Untersuchung der eingesandten Vögel wird kostenlos vorgenommen, und selbstverständlich erhält jeder Einsender vom BNI eine Rückmeldung über das Resultat der virologischen Untersuchung. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Untersuchungen insbesondere bei einem noch unbekannten Erreger lange dauern können und auch nicht alle Proben sofort bearbeitet werden können und daher die individuelle Rückmeldung unter Umständen erst zu einem späteren Zeitpunkt des Jahres erfolgen kann.

Untersuchungsstelle für Vogel-Viren:

Dr. Jonas Schmidt-Chanasit
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
Bernhard-Nocht-Straße 74
20359 Hamburg
Tel. 040-42818-862, Fax 040-42818-941
luehken@bnitm.de

Bitte informieren Sie den NABU über die Untersuchungsergebnisse von Ihnen eingereichter Vögel (per Mail an Vogelschutz@NABU.de). Nennen Sie dabei möglichst die Postleitzahl des Fundorts und das Funddatum und/oder den Namen der Melder*in, damit wir die Untersuchungsergebnisse den zugehörigen Meldungen in unserer Datenbank zuordnen können.

Das können Sie tun: Fotos betroffener Vögel einsenden

Um dem Phänomen weiter auf den Grund zu gehen und Symptome besser kennenzulernen, bitten wir Sie, uns neben der Meldung über das Formular Digitalfotos von erkrankten Blaumeisen zu senden. Bitte geben Sie Datum und PLZ des Fundes bei der Fotosendung mit an, um diese der zugehörigen Meldung in der Datenbank zuordnen zu können. Durch die Übersendung von Bildern ohne einen ausdrücklich anderslautenden Vermerk würden Sie diese Fotos für die kostenfreie Verwendung durch den NABU im Zusammenhang mit der Erforschung des Blaumeisensterbens zur Verfügung stellen. Wir würden den Namen des Bildautors selbstverständlich stets mit angegeben und die Bilder ohne Rücksprache mit Ihnen nicht an Dritte weitergeben.

Das können Sie tun: Gartenvogelbestände zählen

Über Ihre Teilnahme an den beiden großen Mitmach-Aktionen „Stunde der Wintervögel“ (Anfang Januar) und „Stunde der Gartenvögel“ (Anfang Mai) können Sie als Mitforschende mögliche Auswirkungen des Blaumeisensterbens auf die Bestände der Gartenvögel in Deutschland erfassen. Beteiligen Sie sich an der Gartenvogelzählung und liefern Sie uns Daten über den aktuellen Zustand der Vogelwelt! Je mehr Daten eingehen, umso aussagekräftiger werden die Ergebnisse, so dass auch noch für eng begrenzte Regionen wie Landkreise oder Gemeinden valide Ergebnisse ermittelt werden können. Die nächste Stunde der Gartenvögel findet vom 8. bis 10. Mai statt. 


* Anmerkung zur Kartendarstellung: Wie viele kranke und tote Blaumeisen in einem Landkreis gemeldet werden, variiert in Abhängigkeit von der Beobachtungsintensität. Die wie­de­r­um hängt von der Zahl möglicher Beobachter*innen – also der Einwohnerzahl – eines Landkreises ab. Um die Meldezahlen der Landkreise besser vergleichbar zu machen, stellen wir daher die Fallzahlen pro 100.000 (menschliche) Einwohner*innen dar. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass Menschen von dieser Erkrankung betroffen wären. Würden in der Karte die absoluten Zahlen dargestellt werden, würden die Fallzahlen in dichtbesiedelten Städten beispielsweise stark überbewertet werden.

Keinen wesentlichen Einfluss auf die Verteilung der Meldungen hat die Zahl der Blaumeisen, da diese bundesweit in fast jedem Garten vorkommen (Meldequote rund 75 Prozent bei der „Stunde der Gartenvögel“).