Kein Feind in Sicht! Gar niemand kann dem Waschbären auf den Pelz rücken

Waschbär in freier Natur. Foto: Rita Priemer

Von Martina Vogt

Kreisverband Gütersloh: Kaum ein anderes Tier in Deutschland kann sich so sorgenfrei und entspannt in Wald und auf Wiesen bewegen wie der Waschbär. Der pelzige kleine Kerl stammt ursprünglich aus Nordamerika. Nach Aussetzungen (Edersee/Hessen) und Farmausbrüchen (Brandenburg, Harz) fühlt er sich seit Mitte der 30er Jahre auch in unseren Breitengraden heimelig. Niemand kann ihm auf den Pelz rücken, so scheint es, denn der Waschbär besitzt bei uns keine natürlichen Fressfeinde. So vermehrt und verbreitet sich die invasive Art mehr und mehr und wird vielerorts zur Plage.

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Infografik: Jahresstrecke Waschbär 2018/2019. Quelle: Deutscher Jagdverband (DJV)

Die Waschbären ausschließlich mit Waffen zu bejagen, mache jedoch wenig Sinn, ist sich der Vorsitzende der Kreisjägerschaft Gütersloh, Ralf Reckmeyer, sicher. Während auf der einen Seite die Zahl der erlegten (dazu gehören auch die, die in Lebendfangfallen gefangen werden) Waschbären steigt, wachsen die Bestände stetig weiter, berichtet Reckmeyer. Schier unmöglich scheint es, den Allesfresser ausrotten zu können. Aus diesem Grund sprechen sich viele Menschen für eine friedliche Koexistenz mit dem possierlichen Zuwanderer aus.

Am 31. März 2020 sind die Abschusszahlen des Waschbären vom Deutschen Jagdverband veröffentlicht worden.

Hier zeigt sich: Im Vergleich zu anderen invasiven Tierarten (Neozoen) steigen die Jagdstrecken beim Waschbären in allen Bundesländern stark an gegenüber dem Vergleichszeitraum (Jagdjahre 2004/05 bis 2007/08). Aktuell leben in Deutschland geschätzt mehrere hunderttausend Waschbären. Aus dem Jahresbericht 2018 des Wildtier-Informationssystems der Länder Deutschlands geht hervor, dass im Jagdjahr 2018/19 in ganz Deutschland rund 167.000 Waschbären erlegt wurden. (Der überwiegende Teil im Zusammenhang mit Fallenjagd.) Davon wurden im selben Jagdjahr circa 18.000 Waschbären allein in NRW erlegt. Im Vergleich zum Jagdjahr 2008/09 waren es rund 7.000 Kleinbären in NRW.

Um einen Waschbären in eine Falle locken zu können, sollte man seinen Geschmack kennen:
Der pelzige Kerl steht auf Schokolade und süßes Obst, wie zum Beispiel Pflaumen und Kirschen.

Zugegeben, Waschbären sehen putzig aus. Man könnte meinen, sie seien geeignete Haustiere. Jedoch: So niedlich und verspielt sie auch sein mögen, sie bleiben Wildtiere. Aus dem Jahresbericht geht weiterhin hervor, dass die nachtaktiven Räuber häufige Überträger von Infektionskrankheiten und Parasiten sind (Renteria-Solis 2015). Es handelt sich neben Räude und Staupe vor allem um den Waschbärspulwurm und die Tollwut. Gleichermaßen gefährdet sind Menschen und Hunde.

Waschbär. Steffen Zibolsky
Waschbär. Foto: Steffen Zibolsky

„Umso wichtiger ist die konsequente Bejagung der Tiere“, warnt Reckmeyer. Die effektivste Methode, die Kleinbären zu bejagen, sei die Fangjagd. Auch im Kreis Gütersloh sind die Tiere zur Plage geworden. „Die Waschbären haben eine hohe Reproduktionsrate mit vier bis sechs Nachkommen. Außerdem sind sie schwer zu bejagen, weil sie nachtaktiv sind. Deswegen geht es nur über die Fangjagd.“ Hinzu komme, dass es nachts aufgrund der Dunkelheit kaum möglich sei die Tiere zu erlegen und künstliches Licht dürfe bei der Jagd nicht verwendet werden.

Tagsüber ist es lediglich möglich, einen schlafenden Waschbären in Erdbauten oder einer Baumhöhle zu entdecken. Hier holen die gewandten Kletterer gern ihren Schlaf nach. Aber auch auf Dachböden hausen sie oft und zwar gleich mit der ganzen Waschbärensippe. Als Kulturfolger entdecken Waschbären auch den urbanen Raum für sich. Frech spazieren sie durch die Katzenklappe in Häuser und Gärten. Sie lieben es in unserem Hausmüll nach Essbarem zu suchen. Nicht selten verursacht der neugierige Waschbär dabei einige Schäden in Siedlungs- und Gartenanlagen.

„Schwierig wird es dann, wenn die pelzigen Räuber die Tierfütterung von Hund, Katze und Igel annehmen oder direkt gefüttert werden. Dadurch werden die Bären zutraulich und verlieren ihre natürliche Scheu vor uns Menschen. Das müssen wir verhindern“, mahnt Reckmeyer. In Berlin werde das direkte Zufüttern der Tiere bereits mit hohen Geldstrafen geahndet.

Dass die Anzahl der Waschbären dramatisch angestiegen ist, erkennt man am deutlichsten auf unseren Autobahnen. Viele Waschbären verunglücken dort nachts, angelockt von Aas.

Es scheint, als könne ihn niemand stoppen. So leicht fällt es diesem mittelgroßen Säugetier, neue Lebensräume zu erschließen und die in ihnen vorkommenden Ressourcen zu nutzen. Waschbären sind Nahrungsgeneralisten. Abgesehen von den Tieren, die die Stadt als ihre Wahlheimat vorziehen, lieben sie gewässerreiche Misch- und Laubwälder mit hohem Eichen- und Erlenanteil. Außerdem sind sie gute Schwimmer und leben gern in der Nähe von Flüssen oder anderen Gewässern, wo sie einen Großteil ihrer tierischen Nahrung vorfinden.

Bequemer Sammler statt aktiver Jäger

Waschbären am Vogelhaus. Foto: Miriam Link

Waschbären zählen eher zu der gemütlicheren Sorte. Sie mögen es bequem und sind keine typischen Jäger. Sie „sammeln“ und ertasten ihre Nahrung mit ihren feingliedrigen und sensiblen Pfoten. Entweder finden sie in Getreide- und Maisfeldern Nahrung (die mitunter wichtigste Futterressource) oder sie ernähren sich von Obst, Früchten, Vögeln und deren Eiern, Wirbellosen und kleinen Wirbeltieren (Mäusen) und von menschlichen Abfällen.

Der polarisierende Waschbär besetzt eine Nische. Er ist ein Nahrungsopportunist, das heißt, er fokussiert die Beute, die von ihm am leichtesten, in kürzester Zeit und mit wenig Aufwand zu erlegen ist. „Waschbären sind klassische Kulturfolger, sie sind also sehr anpassungsfähig und sie fressen einfach alles, was nicht niet- und nagelfest ist“, ärgert sich Ralf Reckmeyer – auch die Eier von Bodenbrütern wie beispielsweise von Kiebitz oder Rebhuhn. Den Beinamen „Eierdieb“ tragen sie also zu recht. „Unsere Bodenbrüter sind in Gefahr. Als Jäger sind wir auch Naturschützer und -liebhaber, das heißt, wenn wir über Artenvielfalt reden, müssen wir auch jeder Art ihren Freiraum zur Entwicklung in der Natur geben. Aber bitte nur so viel Tier wie eine Region verträgt. Wenn andere Tierpopulationen darunter leiden, muss jemand eingreifen.“

Auch für andere einheimische Arten stellt der Waschbär eine Bedrohung dar und stört enorm das natürliche Gleichgewicht. Er gefährdet die Bestände zahlreicher Vogel- und Greifvogelarten und von Fledermäusen. Der Wald- und Wiesenbewohner verdrängt Tierarten wie die Europäische Sumpfschildkröte, den Uhu und andere Vögel aus ihren angestammten Revieren. Aus diesem Grund steht der Allesfresser seit Sommer 2016 auf der EU-Liste der invasiven Arten.

Übersicht der invasiven Arten Deutschlands

Waldbewohner. Foto: Jens-Uwe Heutling
Waldbewohner mit Beute. Foto:
Jens-Uwe Heutling – foto@jens-heutling.de

Die Mär‘ vom reinlichen Waschbären…

Dass der anpassungsfähige Raubsäuger seine Nahrung vorm Verzehr waschen oder im Wasser tränken würde, wenn sie ihm zu trocken ist, glaubte man lange Zeit. Dieses Phänomen wurde nur bei Waschbären beobachtet, die in Gefangenschaft aufwachsen und nicht in freier Natur leben. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich bei diesem „Waschzwang“ um eine Leerlaufhandlung handelt. Damit soll die Suche nach Futter am Ufer nach Kleinlebewesen nachgeahmt werden. Das Säubern von verunreinigter Nahrung scheint dabei aber keine Rolle zu spielen.

STECKBRIEF WASCHBÄR

WISSENSCHAFTLICHER NAME: PROCYON LOTOR

HERKUNFT: NORDAMERIKA

GEWICHT: 5-9 KG

KÖRPERLÄNGE: 70 cm

ALTER: MEIST 1-3 JAHRE (IN GEFANGENSCHAFT CA. 20)

NAHRUNG: ALLESFRESSER

LEBENSRAUM: GEWÄSSERREICHE LAUB- UND MISCHWÄLDER

VERHALTEN: NACHTAKTIV; KLUG; ANPASSUNGSFÄHIG

FEINDE: FÜCHSE, WÖLFE, BERGLÖWEN

Der Waschbär wird den heimischen Säugetierarten zugerechnet und ist fester Bestandteil in der Natur Deutschlands und Europas. Jedoch steht er nicht unter Artenschutz.

In Deutschland ist der Waschbär nicht durchgängig geschützt. In den jeweiligen Bundesländern gibt es unterschiedliche Jagd- und Schonzeiten. Viele Bundesländer haben von Schonzeiten für Waschbären abgesehen, aber nicht alle.

Innerhalb befriedeter Bezirke (Ortschaften, Gebäude, Friedhöfe) ist die Jagdausübung grundsätzlich untersagt. Mit Ausnahmegenehmigungen darf zumindest die Fallenjagd in befriedeten Bezirken ausgeführt werden. Hier dürfen Tiere zumeist nur im Rahmen der Schädlingsabwehr gefangen werden.

Neugieriges Waschbärpaar. Foto: Rudy and Peter Skitterians auf Pixabay

Bei der Bejagung sind folgende Schonzeiten in Nordrhein-Westfalen zu beachten: 01. März bis 31. August (keine Schonzeit bei Jungwaschbären) Stand: 2018 – Angaben ohne Gewähr.

Das Jagd- und Tierschutzrecht gilt ausnahmslos – gegenüber allen Tierarten. Bei der Fallenjagd sind gewisse Kriterien zu beachten: „Es sollten ausschließlich Lebendfangfallen verwendet werden“, mahnt Reckmeyer. „An den Fallen wird ein Sender angebracht, der den Jäger sofort über den Fang informiert. Direkt nach Erhalt der Nachricht, muss dieser dann unverzüglich die Falle kontrollieren. Tagsüber sollte man das umgehend machen. Das ist gesetzlich geregelt“, erklärt der Jäger das Prozedere.

Unser Fazit

Wo ein Waschbär auftaucht, da folgen meist noch weitere, denn er lebt in Familienverbänden. „Wenn man früh genug anfängt diese Populationen einzudämmen, kann man die Ausbreitung dieses Überlebenskünstlers zwar reduzieren, jedoch keinesfalls verhindern“, weiß Reckmeyer. Allein durch Bejagung kann der Mensch wenig gegen die maskiert aussehenden Raubtiere ausrichten. „Das Tier mit einer Lebendfangfalle zu fangen und dann zu töten, ist dabei die effektivste Art, die Waschbärpopulation zu minmieren“, schließt der Jagdexperte. Für Natur- und Artenschutz stellt das possierliche Raubtier selbst eine Gefahr dar. In vielen Bundesländern ist der Waschbär bereits zur Stadt- und Landplage geworden. Über kurz oder lang werden wir wohl mit dem gefräßigen Vierbeiner leben lernen müssen.

Info-Box

Im östlichen Teil Nordrhein-Westfalens finden sich überwiegend Waschbärpopulationen. Die Zahl der Raubsäuger stieg seit Mitte der 90er Jahre enorm an. Auf das 16-fache hat sich die Zahl der erlegten Waschbären innerhalb des Zeitraums von 1992 (165) bis 2002 (2.668) erhöht. Heute findet sich die Waschbären-Hochburg in NRW im Kreis Höxter.

Der erste nachweisbar erlegte Waschbär in Westfalen stammt aus dem Hochsauerlandkreis (1946). Der Siegeszug des Waschbären zeichnete sich deutlich ab: Bis Ende der 60er besiedelte die invasive Art das südwestliche Bergland sowie südliche Teile Ostwestfalens, einzelne Nachweise gab es auch im Norden und Westen Westfalens. Heute ist der Waschbär in vielen Gemeinden in ganz NRW zu finden. Die höchsten Dichten werden in Ostwestfalen-Lippe und im Süderbergland erreicht. Atlas der Säugetiere Nordrhein-Westfalens